Openseamap auf dem Garmin GPSMap

AIS auf Sportbooten – wieso und vor allem wie?

Ein Schlagwort geistert durch die Sportschifffahrt, mit dem sich viele Yachties noch gar nicht beschäftigt haben, obwohl es eine ziemlich nützliche Funktion ist: AIS, das Automatic Identification System. Was das ist? Dazu mehr.

Das Prinzip

Im Prinzip ist AIS simpel erklärt: auf zwei extra dafür reservierten UKW-Kanälen senden Schiffe kleine digitale Datensätze, die ihre aktuelle Position, Geschwindigkeit und Richtung (und noch ein paar weitere Daten) enthalten. Mit einem geeigneten Empfänger und einem Kartenplotter kann man sich jetzt die Position und mögliche Kollisionskurse mit diesen Schiffen in der Karte anzeigen lassen, und zwar für alle Schiffe in Funkreichweite. Damit kann der Plotter bspw. auf dem Rhein „um die nächste Ecke gucken“ und Schiffe anzeigen, die Dir in ein paar Minuten begegnen, die Du aber noch nicht sehen kannst.

bei Wikipedia: Automatic Identification System

Aber fangen wir vorne an. Es gibt AIS-Transceiver (senden & empfangen) und reine Empfänger. AIS-Sender sind für viele Berufsschiffe vorgeschrieben (bspw. in der Moselschifffahrtspolizeiverordnung §4.07) und entsprechend weit verbreitet. Ein solcher Sender sendet in bestimmten Intervallen abwechselnd auf den beiden AIS-Kanälen (die Kanäle 87B und 88B sind für AIS „freigeräumt“ worden) ein sogenanntes AIS-Telegramm – von alle 3 Minuten (stillliegende Schiffe) bis hinab zu 2 Sekunden (Schnellfähren, Schiffe bei Kursänderung). Transceiver der Klasse A stellen dabei durch einen ziemlich ausgefuchsten Mechanismus sicher, dass alle nacheinander und nicht durcheinander funken, Class-B-Transceiver senden erst, wenn frei ist (und haben daher keine Garantie, dass sie die festgelegten Takte auch einhalten).

Datagramme

Es gibt 27 verschiedene Datagrammtypen (englisch), von denen im Alltag nur einige wenige relevant sind (und auch wirklich vorkommen). Die von anderen Schiffen (und auch Landfunkstellen) gesendeten Informationen lassen sich grob in drei Gruppen einteilen:

  • statische Daten, bspw. MMSI des Schiffs, Name, Länge/Breite, Schiffstyp
    Diese Daten sind, da sie der Betreiber nur einmalig eintragen musste, i.d.R. sehr verlässlich – sofern denn überhaupt vorhanden.
  • dynamische Daten, automatisch erzeugt, bspw. Position, Geschwindigkeit, Peilung
    Diese Daten werden vom GPS-Empfänger des Schiffs übernommen und sind daher sehr verlässlich.
  • dynamische Daten, manuell eingetragen, bspw. Zielhafen, Ladung, Estimated Time of Arrival (ETA)
    Diese Daten sind oft entweder gar nicht gepflegt oder vielleicht veraltet/falsch, weil sie davon abhängen, dass der Betreiber des Senders sie regelmäßig aktualisiert. Sie werden in separaten Datagrammen in selteneren Takten übertragen.

Zu den belastbaren Daten gehören also Position, Geschwindigkeit und Kurs. Das ist sehr praktisch, denn es erlaubt dem eigenen Empfänger/Kartenplotter, für das sendende Schiff einen Richtungsvektor in die Karte zu malen, der die aktuelle Position und die antizipierten Positionen der nächsten Minuten beschreibt. Aber dazu gleich.

AIS-Empfänger

Um diese AIS-Datagramme empfangen zu können, braucht man einen Empfänger. Den zu betreiben, bedarf keiner weiteren Genehmigung oder Ausbildung. Außerdem ist ein AIS-Empfänger bedienungsfrei: einschalten und läuft.

Es gibt 1-Kanal- und 2-Kanal-Empfänger. Da die Datagramme gem. Spezifikation abwechselnd auf den beiden Kanälen zu senden sind, dauert es bei einem 1-Kanal-Empfänger einfach nur doppelt so lange bis zur nächsten Aktualisierung, also bei einer Schnellfähre bspw. 4 Sekunden statt 2, bei einem stilliegenden Schiff 6 Minuten statt 3. Das ist für Yachties eigentlich kein Problem, ein 1-Kanal-Empfänger genügt also. Es gibt sie neu allerdings kaum noch, inzwischen sind das alles Zweikanalempfänger.

Als UKW-Empfänger braucht er auch eine UKW-Antenne. Am elegantesten löst man das mit einem Antennensplitter, so dass die Funkantenne des Funkgeräts mitverwendet wird. Auf keinen Fall dürfen AIS-Empfänger und UKW-Funkgerät einfach parallel an die Antenne angeschlossen werden: erstens stimmt dann die Abstimmung der Komponenten nicht mehr und der Sender des Funkgeräts kann Schaden nehmen, vor allem aber würde das Funkgerät, wenn es mit 25W sendet, mit hoher Wahrscheinlichkeit den AIS-Empfänger grillen. Der Antennensplitter verhindert genau das und sorgt für eine saubere Abstimmung. Während das Funkgerät sendet, empfängt der AIS-Empfänger dann halt mal nichts und verpasst ggfs. ein paar Telegramme.

Ich habe mich – weil ich die Komponenten zusammen gebraucht gekauft habe – für die zweitbeste Möglichkeit entschieden: ich habe eine separate zweite UKW-Antenne vorn im Ankerkasten für den AIS-Empfänger. Die muss mindestens 3m von der UKW-Antenne des Funkgeräts entfernt sein, was ich gut erreiche, weil meine Funkantenne auf der Badeplattform steht.

AIS Datagramme aus (daten-)technischer Sicht

Der Empfänger empfängt dann die AIS-Datagramme und erzeugt NMEA-Datensätze, (fast) wie wir sie vom GPS kennen:

!AIVDM,1,1,,A,13P;Qe@03RwriAPM2aKiVQFD1l1k,0*29
!AIVDM,1,1,,A,13P;i=P001wrteJM4g71f8rB086?,0*53
$GPGBS,225025.00,3.7,2.6,5.4,,,,*42
!AIVDO,1,1,,,B3P;s:@00GvPcA7@dEUFSwP5wP06,0*10
!AIVDM,1,1,,A,13M@F30001wqWDDM7I7uDBrD0`6J,0*61
!AIVDM,1,1,,A,16tL1v003=wvpa8Loa@as80B0<<P,0*42
!AIVDM,1,1,,A,13M@ENh000OrtThM4U>ueP>@0D1j,0*0C
$GPRMC,225026.00,A,5045.41035,N,00118.08954,W,0.16 4,140.39,280510,,,A*70
!AIVDO,1,1,,,B3P;s:@00GvPc@W@dEMGgwP5wP06,0*5C
!AIVDM,1,1,,B,13P7JTPu@;wrL`@M1ui8c6vB0D2j,0*7C
!AIVDM,1,1,,B,181:KU@001wqr4fM5mgKw4FH086u,0*51
!AIVDM,1,1,,B,33P88o@sR6wr5khM4i>eL:RF00wh,0*48
!AIVDM,2,1,3,A,53P;i=P2AG7c8<i3T010u9B0tJ1=04Tr0000000S40s7740Hti@H54R@C4,0*5D
!AIVDM,2,2,3,A,h0000000001,2*7E
!AIVDM,1,1,,A,13cV5A002bOrIeTM324kqS:H0@7?,0*4B

Allerdings gibt es Unterschiede: Sie beginnen mit einem Ausrufezeichen (anstelle des $-Zeichens bei GPS etc., s. „$GP…“-Datensätze). Spannender ist allerdings der Unterschied in Feld 6: die Inhalte der AIS-Telegramme sind nicht menschenlesbar, sondern werden in einem speziell kodierten Container transportiert, um Übertragungsplatz und damit -zeit zu sparen (Für die Datentechniker: hier werden 6-Bit-Informationen in 8-Bit-Kodierung übertragen, also 25% Sendezeit eingespart). Ein Decoder muss also etwas Rechenarbeit aufbringen. Der drittletzte und zweitletzte Datensatz oben sind übrigens ein Beispiel für einen Datensatz, der sich sogar kodiert nicht in einer NMEA-Zeile, die gem. Spezifikation auf 78 Zeichen begrenzt ist, transportieren lässt und auf zwei Zeilen gesplittet werden musste. Das erkennt man an dem Zähler in Feld 3, der bei dem zweiten Datensatz eben nicht 1 für den ersten Datensatz, sondern 2 enthält.

In der Praxis wird die Spezifikation übrigens deutlich robuster ausgelegt, als sich das die Entwickler von AIS-Decodern wünschen würden – so beherrschen bspw. lange nicht alle Transceiver/Empfänger alle Datagrammtypen, und auch Felder wie bspw. der Kanal, über den ein Datagramm eingegangen ist, wird lange nicht von allen Empfängern an den Decoder mit übertragen.

Der AIS-Empfänger spuckt also permanent solche Zeilen aus, immer dann, wenn er gerade wieder ein AIS-Telegramm empfangen hat. Nun bedarf es noch eines AIS-Decoders, um daraus nützliche Informationen zu extrahieren. Ein solcher ist als separate Software erhältlich, aber auch in allen AIS-fähigen Kartenplottern enthalten.

AIS meets Kartenplotter

So richtig sinnvoll sind AIS-Informationen nur in Kombination mit einem eigenen GPS-Empfänger und einer Kartendarstellung. Aus den GPS-Daten – Position, Geschwindigkeit, Kurs – kann ein Kartenplotter (oder sonstige Software) einen eigenen Richtungsvektor in die Karte malen: wo bin ich, in welche Richtung fahre ich, wo werde ich in 30, 60, 90, 120 Sekunden sein? Mit den AIS-Daten kann der Plotter das gleiche für alle „Gegner“ im Umfeld machen und entsprechende Richtungsvektoren in die Karte einzeichnen. Et voila: berühren oder kreuzen sich der eigene Vektor mit einem Vektor eines anderen Schiffs, haben wir eine Kollisionsgefahr.

Die meisten Lösungen lassen sich diesbezüglich konfigurieren, bspw. minimale Entfernung und Zeit, bevor ein Kollisionsalarm ausgelöst wird. Während mit einem Stahlverdränger auf der Ostsee eine drohende Annäherung auf 200m auf ein anderes Schiff sicher einen Alarm wert ist, macht das auf dem Rhein wenig Sinn: dort 200m Abstand überhaupt zu überschreiten, wäre schon nicht immer ganz einfach.

AIS als „Röntgenauge“

AIS leistet damit etwas, was kein anderes Navigationsmittel beherrscht – sehr vorausschauendes Fahren, auch bei schlechter Sicht und (binnen) an Flußbiegungen etc. Wenn mir das AIS am Düsseldorfer Rheinknie signalisiert, dass hinter der nächsten Ecke wieder mal vierspurig gefahren wird – Überholvorgänge zu Berg und zu Tal gleichzeitig, gern Schubverbände oder Autotransporter von Ford in Köln Richtung Nordsee involviert -, muss ich wenigstens nicht überrascht tun, wenn ich in Gleitfahrt auf eine Ansammlung Stahlbrocken zurase. Da als Identifikationsmerkmal die MMSI verwendet wird, die immer übertragen wird, und das Binnenrufzeichen und der Name auch Teil der übertragenen Daten sind, kann man einzelne Schiffe auch gleich direkt anfunken, wenn es etwas zu klären gibt. Hier mal ein Ausschnitt aus marinetraffic.com von Düsseldorf – hinter jeder Biegung lauern ein paar Schiffe in Fahrt:

der Rhein um Düsseldorf - Schiffe (und ihre AIS Position) hinter jeder Ecke

der Rhein um Düsseldorf – Schiffe (und ihre AIS Position) hinter jeder Ecke

Der Rhein um Düsseldorf auf marinetraffic.com: marinetraffic.com

Die Grenzen von AIS liegen klar auf der Hand: zum einen ist die Reichweite auf UKW-Funk limitiert. Alles, was Funk bremst, bremst auch AIS. Wer also aus einer typischen Ruhrgebietsschleuse mit vielen Metern Hub und Stahlspundwand zu Tal ausfährt, darf sich nicht wundern, wenn davor ggfs. Schiffe liegen, die das AIS nicht angezeigt hat. Zum anderen sind eben zwar Berufsschiffe, aber vor allem kaum Sportboote mit AIS-Sendern ausgestattet. „Kein Kollisionsalarm“ heißt also nicht „alles frei“, vor Dir könnte immer noch ein Paddler oder ein anderer Yachtie sein.

Und das ist dann die „kleine“ Ansicht aus der Ich-Perspektive:

Openseamap auf dem Garmin GPSMap

drei Berufer voraus – auf potenziellem Kollisionskurs

AIS Hardware

Hardwareseitig setze ich ein:

  • PCNautic AIS 02 2-Kanal-Empfänger (gebraucht gekauft), mit separater dedizierter Antenne, versteht die Datagrammtypen 1, 2, 3, 4, 5, 18, 19, 24a/b
  • Garmin GPSMap 620 Kartenplotter mit integrierter AIS-Fähigkeit

(Update 2017: mit dem Wechsel des Boots habe ich auch die AIS-Infrastruktur überarbeitet. Jetzt habe ich ein Standard Horizon GX 2200E UKW-Funkgerät mit integriertem AIS. Das hat den Vorteil, dass ich keine zweite Antenne und auch keinen Antennensplitter brauche: das Funkgerät empfängt automatisch parallel auf den AIS-Kanälen und stellt die Daten per NMEA an den übernommenen GPSMap 620 Plotter bereit.)

Typische Vertreter der preiswerten Klasse sind:

  • easyAIS A025 als Empfänger, ca. 230 EUR, + easyAIS A026 Antennensplitter, ca. 130 EUR
  • easyAIS-IS, Empfänger mit integriertem Antennensplitter, ca. 330 EUR
  • Digitalyacht AIS100, Empfänger, ca. 190 EUR

Für den Einsatz am PC anstelle eines Kartenplotters gibt es auch AIS-Empfänger mit USB-Anschluss. Darauf kann man dann bspw. mit OpenCPN – einer Open-Source-Initiative für einen PC-basierten Kartenplotter – AIS-Daten aufbereiten.

marinetraffic.com App

Von marinetraffic.com gibt es auch eine App im Appstore / Google Play. Damit wird das Smartphone / das Tablet – Mobilfunkabdeckung und eine Datenoption vorausgesetzt – zum Kartenplotter mit AIS-Funktion. Einen Haken hat die Sache aber: zum einen empfängt das Smartphone die Datagramme natürlich nicht direkt, sondern ruft nur die Internetseite auf, die von vielen Freiwilligen weltweit lebt, die sich eine Empfangsstation zuhause hingestellt haben und die empfangenen Daten an marinetraffic.com liefern. Das ist in Ballungsgebieten (mit vielen Freiwilligen) sicherlich verschmerzbar, führt aber eben zu Lücken, die man nicht ohne weiteres erkennt. Ganz nebenbei ist das Konzept etwas fragwürdig, weil diese Freiwilligen zumindest nach deutschem Recht gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen.

Das größere Problem ist die Latenz: die Daten haben einen langen Weg hinter sich, der noch dazu nicht prognostizierbar ist. Wenn die Mobilfunk-Datenperformance gerade schlecht ist, kann die Positionsinformation auch schon einmal 30 oder gar 60 Sekunden alt sein. Und gefährlicher als „keine Information“ ist nur noch „eine falsche Information“.

AIS per SDR – basteln für Fortgeschrittene

Und noch eins möchte ich in diesem Kontext nicht verschweigen: AIS bekommt man (theoretisch) auch nahezu umsonst! Dazu muss man allerdings ein paar sehr experimentelle Projekte kombinieren.

Moderne DVB-T-Sticks (ja, genau – die zum Fernsehen am Notebook) bestehen oft nur noch aus zwei Bausteinen, einem Realtek 2832U und einem Elonics E4000, den Rest übernimmt die Software. Deswegen SDR – Software Defined Radio (weil die komplette Signalverarbeitung und -decodierung schon per Software gemacht wird). Diese beiden Bausteine sind allerdings in der Lage, ein sehr weites Frequenzspektrum abzubilden, und können außer DVB-T (um 200 MHz und 500-780 MHz) eben auch im UKW-Band (160 MHz für die beiden AIS-Kanäle) und jede Menge mehr empfangen. Hier mehr zu diesem Projekt: http://www.ybw.com/forums/archive/index.php/t-321528.html. Ein solcher DVB-T Stick kostet im eBay ca. 15 EUR inkl. Versand aus Hongkong.

Kombiniert man das mit Open-Source-AIS-Projekten (s. auch hier (englisch): cruisersforum.com), hat man einen AIS-Empfänger für ganz kleines Geld. Ob der in Sachen Betriebssicherheit den eigenen Ansprüchen gerecht wird, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Und schlussendlich kann man natürlich auch zwei Baustellen miteinander verbinden – AIS per SDR auf dem Raspberry Pi (Google-Suche dazu). Aber statt die Zeit dafür zu investieren, fahre ich lieber Boot … 😉

Ein Gedanke zu „AIS auf Sportbooten – wieso und vor allem wie?

  1. Pingback: Seekarten für umme - ENC und OSM auf Garmin - bootstechnik.de

Kommentare sind geschlossen.